PAVILLON DE L’ESPRIT NOUVEAU: A 21st Century Show Home | Die Welt

Nov 04 2015


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Die Deutschen träumen auf verlorenem Posten. Das eigene Haus steht auf ihrer Wunschliste fast ganz oben, gleich hinter dem Auto. Doch jede Prognose legt nahe, dass dieser Wunsch immer seltener in Erfüllung gehen wird. Immer mehr Menschen werden in Zukunft in Städten leben. Wohnraum wird knapp und teuer. Weder der als “gute Stube” verbrämte Rückzugsort noch die bürgerlichen Zimmerfluchten zur Privatrepräsentation werden für die meisten erschwinglich sein.

Es mag daher ein Zufall sein oder eben auch nicht, dass sich zwei Ausstellungenaus zwei gegensätzlichen Richtungen dem Thema Wohnen nähern. “Pavillon de L’Esprit Moderne: 21st Century Show Home” (im Swiss Institute, bis 8. November) in New York ist knallbunt, zukunftsversessen und glamourös, in der Berliner Ausstellung “Wohnungsfrage” (im Haus der Kulturen der Welt, bis 14. Dezember) werden mit Dokumentarfilmen und anhand von begehbaren Sperrholzmodellen soziale und ökonomische Aspekte diskutiert.

Hollywood meets Ikea meets Instagram

Bei der Eröffnung in New York posiert die raffiniert beiläufig gekleidete Vernissagenjugend auf, vor und mit Möbeln und Designobjekten. Videokameras filmen diese “tableaux vivants” und transportieren sie live in computergenerierte Renderings: Wüste, Panikzimmer, Gartenlaube mit Marihuana-Pflanzen. Auf Monitoren an den Wänden der Ausstellung sind diese digitalen Collagen zu sehen: Hollywood meets Ikea meets Instagram.

Die Frage, die hier gestellt wird: Was ist heute privat? Der Befund lautet: fast nichts. Eine neue Generation von Wohnzeitschriften und Wohnblogs führt die Häuser und Apartments normaler Menschen vor. Und jeder zweite Instagram-Account zeigt ausführlich die schönen und banalen Momente in den eigenen vier Wänden. Nicht mehr der Prominente, der irgendein Produkt oder sich selbst vermarkten will, öffnet seine Tür, sondern quasi jeder. Es entsteht ein Kreislauf aus digitaler Unterhaltung, Selbstinszenierung in Produktlandschaften und totaler freiwilliger Überwachung. Privatsphäre und öffentliche Persona verschmelzen zu stilisierten Biografien, die Wohnung wird Bühne.

Materialien aus dem jungen Jahrhundert

Um über die Zukunft zu sprechen, lohnt der Blick zurück. In Berlin bezieht man sich auf die Artikelserie “Zur Wohnungsfrage” von Friedrich Engels, der 1872 beschrieb, wie die Industrialisierung Menschen in die Städte spülte, die kein Zuhause fanden. Der Titel der New Yorker Ausstellung wiederum ist eine freche Hommage an Le Corbusiers Beitrag von 1925 bei der Pariser “Exposition des Arts Décoratifs”. Die Welt richtete sich damals noch mit Art déco und Kunsthandwerk ein, der Schweizer Architekt dagegen präsentierte eine “Glorifizierung des Industriezeitalters”. Sein Wohnhaus baute er aus industriell gefertigten Teilen des 20. Jahrhunderts – Beton, Glas, Stahl.

Der Kurator Felix Burrichter und der Ausstellungsdesigner Shawn Maximo transponierten nicht nur die Idee des Wohnens, sondern auch die des White Cubes ins Immaterielle. Der gesamte Ausstellungsbereich wurde mit lichtabsorbierender Green-Screen-Farbe gestrichen und so in ein Filmset verwandelt. “Das Schönste am Green Screen ist, dass die meisten Teile in diesem Grün wie 2-D-Renderings aussehen”, sagt Burrichter. In offenen Wohnbereichen wie Schlafzimmer, Esszimmer, oder Terrasse spielen 30 internationale Architekten, Designer und Künstler von Jasper Morrison, Patricia Urquiola, Kram/Weisshaar, Designtex bis Konstantin Grcic ihre semi-virtuellen Wohnvisionen durch.

Jedes Möbelstück und Objekt ist mit Materialien oder Produktionsmethoden hergestellt, die erst seit diesem jungen Jahrhundert kommerziell eingesetzt werden: 3-D-Printing, spezielle Recyclingtechniken, LED-Beleuchtung, Laserschnitte, innovative Kohlenstoff-Fasern. Das Sofa von Philippe Malouin etwa ist mit neuartigem Stretchsamt bezogen, das von Jessi Reaves hat eine Unterkonstruktion aus ebenso neuem, biegsamen Bambus (ply-boo).

Das Möbelhaus als Freizeitoase

Burrichter ist in Düsseldorf aufgewachsen, studierte Architektur in Paris und New York und gründete 2006 das Magazin “Pin-Up”, das im neuen Tonüber Architektur und Design berichtet: neugierig, unterhaltsam, ohne Berührungsängste. “Guter Geschmack,” sagt der Blattmacher: “ist heute als ästhetischer Leitfaden irrelevant.”

Da hat er gleich dreimal recht. Zum einen ist guter Geschmack heute genauso Verhandlungssache wie Schönheitsideale. Außerdem ist der kleinste gemeinsame Einrichtungsnenner für jeden erkennbar und erschwinglich. Ein stichprobenartiger Besuch bei Ikea Berlin-Tempelhof am verkaufsoffenen Sonntag zeigt das Möbelhaus als Freizeitoase, in der Menschen sich gleichmütig treiben lassen – sie wissen sich in einer Konsumwelt, in der jede Entscheidung richtig ist.

Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob sich die Geschmacksfrage gerade stellt. In Turnhallen und ungenutzten Gewerbegebäuden drängen sich die Flüchtlinge, in deutschen Großstädten wie München finden Familien mit durchschnittlichem Haushaltseinkommen keine bezahlbare Bleibe, und wenn in Kreuzberg ein Haus zu aufwendig renoviert wird, sprühen die Alteingesessenen an die Fassade: “Früher haben hier Menschen gewohnt.”

Enge und aufgelöste Privatsphäre

Stadtteilinitiativen und Diskussionsveranstaltungen werden die Profitorientierung des Wohnungsmarktes nicht rückgängig machen. In der New Yorker Ausstellung wird dies gewohnt ironisch kommentiert, indem Führungen mit dem ehemaligen Topmodel Trish Goff angeboten werden. Diese verkauft inzwischen für den Immobilien-Giganten Douglas Elliman Wohnungen an eine distinguierte Klientel der ein Prozent. Ihr Slogan in der Rolle der Ausstellungs-Maklerin: “Everything I touch turns to SOLD!” In Berlin wiederum fragen die Kuratoren, wie Wohnen auf weniger Platz und mit weniger Ressourcen funktionieren kann. Diese Fragestellung ist älter, als es scheinen mag. Schon Corbusier vermaß den Menschen, um Minimaldimensionen für seine Wohnungen festzulegen.

Und das Arrangement “Co-Op Interieur” des Architekten Hannes Meyer aus dem Jahr 1926 zeigt ein Idealbild des Minimalismus: ein Feldbett, zwei Klappstühle, ein Tischlein mit Grammofon. Diese formvollendete Nacktheit mag damals radikal gewesen sein, heute herrscht sie in jedem Budget-Hotel. Das vom heiligen Franziskus verkündete Konzept der “altissima paupertas” (höchste Armut) stand auch Pate für die Holzkonstruktion “Urban Forest”, die das Studio Bow-Wow als zweistöckiges Studentenwohnheim im Berliner Haus der Kulturen der Welt errichtete. Die Schlafzimmer sind auf Zellenformat geschrumpft, statt Rückzugszonen ist hier Dauerkommunikation eingebaut.

Die Idee der Enge bei nahezu aufgelöster Privatsphäre wurde in der Vergangenheit variiert, ob im israelischen Kibbuzz Yagur, im Kloster oder im Reality-Fernsehen – Modelle mit überschaubarer Strahlkraft. Heute aber ist die Gesellschaft vielleicht reif für dieses Leben. Denn das neue Wohnzimmer hat keine vier Wände mehr, sondern konfiguriert sich auf dem Smartphone-Screen.

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